Am Dienstag hätte eine unabhängige Jury sich für einen der beiden Preisträger-Entwürfe des Wettbewerbsverfahrens für den Molkenmarkt entscheiden sollen, der dann die Grundlage der Charta für die Entwicklung des Quartiers gebildet hätte. Diese Charta soll laut den bisher als Arbeitsgrundlage dienenden Leitlinien zum Molkenmarkt die Kriterien für die weitere Entwicklung des Quartiers in der neuen Berliner Mitte festlegen.
Senatsbaudirektorin Kahlfeldt (parteilos, für SPD) will das Verfahren nun ergebnislos beenden. Die Begründung hierfür – dass in beiden Entwürfen zu viel Grünflächen bestünden – ist absurd und nicht nachvollziehbar. Kahlfeldt widerspricht so den Kriterien des partizipativen Wettbewerbs und untergräbt damit die demokratischen Prinzipien des Prozesses, den Willen der Bürger*innen und des Preisgerichts.
Die Koalition der Freien Szene Berlin und der Rat für die Künste Berlin fordern das Abgeordnetenhaus auf, seine parlamentarische Kontrollfunktion wahrzunehmen und sicherzustellen, dass das Verfahren wie geplant zu Ende gebracht wird.
Die Leitlinien für das Verfahren wurden in einem kooperativen Planungs- und Beteiligungsprozess festgelegt und definieren die Anforderungen an den städtebaulichen Wettbewerb; die Kooperation mit Preisgericht wie Bürger*innen ist dort explizit festgeschrieben, die Berücksichtigung der Leitlinien explizit als Wettbewerbsanforderung definiert.
Der offiziell mandatierte Bürgervertreter Matthias Grünzig, der auch an der Sitzung am Dienstag teilnahmen, sagt hierzu: „Das Wettbewerbs- und Werkstattverfahren ist eine große Chance für die Entwicklung eines zukunftsfähigen Molkenmarkt-Quartiers – mit kultureller Vielfalt, bezahlbarem Wohnraum und ökologischer Nachhaltigkeit. Der Entwurf von OS arkitekter und Czyborra/Klingbeil hat die Anforderungen sehr gut aufgegriffen und bietet sehr gute Voraussetzung dafür, den Molkenmarkt zukunftsfähig zu entwickeln. Es ist ein Skandal, dass dieses Verfahren nun ergebnislos beendet werden soll.“
Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD) und der Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Andreas Geisel (SPD) sind nun aufgefordert, für die Durchsetzung des demokratischen Verfahrens zu sorgen.
Hintergrund
Am Montagabend wurden die beiden Architekturentwürfe der Öffentlichkeit bei einem digitalen Bürgerabend vorgestellt. Die beiden Siegerentwürfe stammen von Marek Czyborra & Tom Klingbeil/OS arkitekter und von Bernd Albers und Silvia Malcovati. Am Dienstag hätte die Jury entscheiden sollen, sie soll laut Tagesspiegel vom 13.9. mehrheitlich dem Entwurf von Czyborra & Klingbeil / OR arkitekter zugeneigt gewesen sein.
Die Koalition der Freien Szene (KdFS) und der Rat für die Künste Berlin (RdK) befürworten den Entwurf von Czyborra & Klingbeil/OS arkitekter, da er flexiblere und kleinteiligere Nutzungsprofile der Gebäude sowie eine nachhaltigere Klimabilanz aufweist. Damit erscheint er sowohl für künstlerische Nutzungen besser geeignet als auch aus ökologischer Sicht zukunftsfähiger. Unsere ausführliche fachliche Stellungnahme ist hiernachzulesen.
Bereits im Vorfeld berichtete die Presse, dass Kahlfeldt mit Albers privat verbunden sei und versuche, Einfluss auf die Jury-Entscheidung zu nehmen. Ein städtebaulicher Entwurf für den Molkenmarkt hätte bereits Anfang Juli gewählt werden sollen. Die damalige Sitzung wurde abgesagt, da Kahlfeldt nicht teilnehmen konnte.
Weiterführende Informationen & Quellen
Gemeinsame Pressemitteilung von Koalition der Freien Szene Berlin & Rat für die Künste:
https://www.koalition-der-freien-szene-berlin.de/pm-zum-kulturquartier-molkenmarkt
Weiterführende Links zum Molkenmarkt
Website zur städtebaulichen Entwicklung des Molkenmarkts:
Das Werkstattverfahren zur städtebaulichen Entwicklung des Molkenmarkts:
https://molkenmarkt.berlin.de/werkstattverfahren
Die beiden Preisträger-Entwürfe des „Offenen städtebaulichen und freiraumplanerischen Wettbewerbs zur Neugestaltung des Molkenmarktes“:
Presseberichterstattung zum Wettbewerbs- und Werkstattverfahren Molkenmarkt
Werkstattverfahren für Stadtumbau startet – Ein Stadtplatz für den Berliner Molkenmarkt,
Tagesspiegel, 19.1.2022:
https://www.tagesspiegel.de/berlin/ein-stadtplatz-fur-den-berliner-molkenmarkt-8017453.html
Zukunft des Berliner Molkenmarkts – Showdown hat begonnen,
taz, 20.1.2022:
https://taz.de/Zukunft-des-Berliner-Molkenmarkts/!5825901/
Zwischen Vision und Rekonstruktion – So könnte der Berliner Molkenmarkt aussehen,
Tagesspiegel, 20.1.2022:
Zukunft des Molkenmarktes in Berlin-Mitte – Wenige Anwohner, viele Planer – und ein dominanter Verein,
Tagesspiegel 4.2.2022:
Wem gehört der Berliner Molkenmarkt? – Europas größter Innenstadtumbau bleibt umkämpft,
Tagesspiegel, 16.3.2022:
Wie grün wird der Berliner Molkenmarkt? – „Wir sind verpflichtet, das Weltkulturerbe von morgen zu bauen“,
Tagesspiegel, 29.4.2022:
Zwei Entwürfe, zwei Preisklassen – Wie teuer wird das Wohnen am Berliner Molkenmarkt?,
Tagesspiegel, 30.5.2022:
Zukunft des historischen Zentrums – Die große Hängepartie um den Berliner Molkenmarkt,
Tagesspiegel, 3.7.2022:
Ringen um Berlins historische Mitte – Jury entscheidet sich für keinen der beiden Molkenmarkt-Entwürfe,
Tagesspiegel 13.9.2022:
Koalitionsvertrag SPD, GRÜNEN, LINKE, 2021–2026
Seite 4:
„Auch in Berlin sind die klimatischen Veränderungen zu spüren. Deshalb braucht es einen Umbau der Stadt, damit sie auch unter den veränderten Bedingungen in Zukunft noch lebenswert ist. Denn wir wollen, dass die Menschen in unserer Stadt trotz unvermeidlich steigender Temperaturen weiter eine hohe Lebensqualität genießen. Eine saubere Parkbank und ein sauberer Spielplatz gehören daher genauso zu einer klimaneutralen Stadt wie kühlende Fassadenbegrünungen. Deshalb gilt es auch, das Grün in der Stadt zu schützen und zu pflegen. Saubere Parks und Grün- flächen sind dabei ein Gewinn für die Natur und schaffen sowohl Versickerungsflächen für Regenwasser als auch kostenlose Naherholungsorte für alle, die weder Garten noch Balkon besitzen.“
Seite 8:
„Die Koalition wird einen Schwerpunkt auf Investitionen in Klimaschutz bei öffent- lichen Gebäuden und Flächen legen. Die Koalition erarbeitet eine gesamtstädtische Freiflächen-Strategie mit konkreten Etappenzielen, um eine wohnortnahe Versorgung mit öffentlichen Grünanlagen, Spielplätzen und Plätzen in öffentlichem Straßenland zu erreichen. Die Koalition wird ein Uferwegekonzept erstellen, um alle Ufer so natur- nah und öffentlich wie möglich zu gestalten. Durch einen Katalog ökologischer Krite- rien und mit der Arbeitshilfe Bauleitplanung will die Koalition einen klimagerechten Planungsansatz in die Stadt-, Landschafts- und Freiraumplanung integrieren. Aufbauend auf dem Ökokonto entwickeln wir ein gesamtstädtisches vorsorgendes Kompensationsmanagement. Eine Flächenagentur soll Kompensationsflächen akqui- rieren, entwickeln und pflegen. Die Koalition wird die Berliner Kleingärten sichern und die Kleingartenvereine bei der sozialen, umwelt- und klimagerechten Ausrich- tung unterstützen. Eine gesetzliche Sicherung wird geprüft.“
Seite 49:
„Die Koalition prüft, ob in der Berliner Verwaltung ein Nachhaltigkeits- und Umwelt- management eingeführt wird. Die gesundheitliche Belastung durch Luftverschmut- zung, Lärm, unzureichende wohnortnahe Grünflächen sowie die bioklimatische Belastung sind räumlich und sozial ungleich verteilt. Die Koalition setzt sich für Umweltgerechtigkeit ein und verfolgt das Ziel, bis zum Ende der Wahlperiode die vielfach belasteten Gebiete zu reduzieren. Der Bericht zur Umweltgerechtigkeit wird bis zur Mitte der Wahlperiode fortgeschrieben und Umweltgerechtigkeitskarten wer- den regelmäßig vorgelegt. Die Koalition will eine ausreichende Grünflächenversorgung in der Stadt sicherstellen. Ausgewiesene Flächen des Berliner Stadtgrüns werden er- halten und gepflegt. Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig das ist. Die bezirklichen Straßen- und Grünflächenämter sowie die unteren Naturschutzbehör- den werden gestärkt. Dem Sanierungs- und Qualifizierungsbedarf von Grünanlagen wie beispielsweise Volksparks wird die Koalition Rechnung tragen und will die Mittel für die naturnahe Grünflächenpflege erhöhen. Dabei knüpft sie an die gemeinsam mit den Bezirken erarbeiteten Zielvereinbarungen an und prüft in diesem Zusammen- hang zweckgebundene Zuweisungen. Ausschreibungsvorgaben für Gartenfirmen sind nach ökologischen Kriterien anzupassen. Analoges gilt für die Grün Berlin GmbH.“