Aussetzung der Spartenoffenen Förderung. Ein Appell.

Freie Szene stärkenSehr geehrte Damen und Herren,

mit großer Sorge haben wir letzte Woche erfahren, dass die Spartenoffene Förderung für ein- und zweijährige Vorhaben von Einrichtungen sowie Festivals und Reihen im Juni 2020 nicht ausgeschrieben werden soll. Die dafür eingeplanten Mittel sollen stattdessen eingesetzt werden, „um die finanziellen Folgen von Covid-19 für künstlerische/kuratorische Projekte und ihre Macher*innen abzufedern.“
Seitdem wenden sich Künstler*innen alle Sparten kontinuierlich mit sehr vielen Fragen an uns und die spartenspezifischen Verbände. Die fehlende Auskunft zur Verwendung der einbehaltenen Gelder ruft zusätzliche Verunsicherung hervor. Wir bitten Sie daher darum, uns über Ihre Pläne dahingehend zu informieren und mit uns zu besprechen.
Gerne würden wir Ihnen im direkten Gespräch die konkreten Bedarfe in der Freien Szene und unsere weiteren Ideen zur Bewältigung dieser Krise darlegen und hoffen, dass auch Sie Interesse an einem solchen Austausch haben. Der Sprecher*innenkreis steht jederzeit zur Verfügung, um mit Ihnen gemeinsam Lösungen für das Überleben der Freien Szene zu finden.
Wir verstehen, dass Ihre Motivation hinter dieser Maßnahme wohlwollend ist, dass Sie den Hilferuf der Künstler*innen und Kulturmacher*innen gehört haben und nun nach kurzfristigen Lösungen zur Linderung der akuten Krise suchen. Den Weg der Umwidmung von Fördermitteln halten wir jedoch für den grundsätzlich falschen Ansatz, da ein solcher Schritt den angesprochenen Macher*innen und Orten eine längerfristige, strukturelle Unterstützung entzieht und ihre Lage so verschärft.
Mit der Spartenoffenen Förderung im Juni könnten Projekte ab September 2020 bis Herbst 2021 oder gar Herbst 2022 realisiert werden. Damit fällt der Großteil des Förderzeitraums in eine Zukunft, die nicht der heutigen Situation des Corona-Lockdowns gleichen wird. Selbst wenn keine großen Versammlungen möglich sein sollten, können künstlerische Projekte im Förderzeitraum anders „sichtbar“ werden, wie laut Förderkriterien gefordert – beispielsweise in den digitalen Räumen, die gerade angeregt und ausgebaut werden und sich laut Koalitionsvertrag ohnehin langfristig entwickeln sollen. Im Gegensatz zu den aktuellen Corona-bedingten Ausfällen könnten die Projekte der Spartenoffenen Förderung also stattfinden.
Die Koalition der Freien Szene hat die Spartenoffene Förderung als maßgebliches Instrument initiiert und mitentwickelt, damit freie Künstler*innen eine stabile und nachhaltige Arbeitsgrundlage bekommen. Für Projektraumbetreiber*innen beispielsweise ist dieses Förderprogramm nahezu das einzige, für das sie qualifizieren, die Mittel daraus sind für sie also geradezu existenziell. Genau in Anerkennung dieser Bedarfe und mit Weitsicht hat doch auch die Berliner Regierung gehandelt, als sie in den Koalitionsvertrag die deutliche Erhöhung der Förderung freier Künstler*innen, Projekte und Gruppen „ohne quantitative Abstriche in den Förderprogrammen“ geschrieben hat und Kooperationsmittel für die Zusammenarbeit von Freier Szene und Kultureinrichtungen in Aussicht stellte. Genau diese Ziele erfüllt die Spartenoffene Förderung, die nun ausgesetzt werden soll.
Gerade in diesen drastischen Zeiten, in denen Kulturschaffende von Zukunftsängsten geplagt werden, wäre es für sie wichtig, auf etwas hinarbeiten zu können, Projekte zu konzipieren und sich kreativ mit den aktuellen Bedingungen und Auswirkungen auseinanderzusetzen. Wir sehen dies auch als wichtigen Beitrag für die Beständigkeit und Stabilität unserer Gesellschaft, die im Lockdown zwischen Filterblasen, Schlagzeilen und Lagerkoller gerade (wieder)entdeckt, dass sie es ohne Kunst und Kultur – sei es als Kommentar auf politische Ereignisse, als utopischdystopisches Gedankenspiel oder schlicht als Ablenkung zum Krafttanken – gar nicht aushalten würde. Im Sinne dieser Wertschätzung brauchen wir jetzt mehr, nicht weniger Förderung.
Um Ihr Anliegen durchzusetzen, die für Berlin so einzigartigen Strukturen zu sichern und die Stabilität der Freien Szene nicht weiter zu gefährden, sollten lang angekündigte Ausschreibungen beibehalten und zusätzlich Programme wie die Corona-Stipendien in Wien und Sachsen ausgeschrieben werden, die Kulturträger*innen längerfristig absichern und wieder arbeitsfähig machen.
Natürlich sind zur Abfederung der finanziellen Folgen von Covid-19 akute Soforthilfen erforderlich. Doch ist niemandem geholfen, wenn diese auf Kosten der künstlerischen Arbeit gehen und dadurch zukünftige Projekte zusätzlich verschwinden. Eine große Zahl der Berliner freischaffenden Kunst- und Kulturakteur*innen werden die Corona-Krise nicht überleben, wenn die Förderstrukturen jetzt ausgetrocknet werden. Soforthilfen dürfen daher keinesfalls aus Umwidmungen stammen.
Bitte überdenken Sie noch einmal Ihren Ansatz und berücksichtigen dabei unsere genannten Argumente.

 

Koalition der Freien Szene
Netzwerk Freier Berliner Projekträume und -initiativen
bbk berlin – berufsverband bildender künstler*innen berlin e.V.
Netzwerk freie Literaturszene Berlin
LAFT – Landesverband freie darstellende Künste Berlin
Initiative Neue Musik Berlin
VAM Berlin – Vereinigung Alte Musik
IG Jazz Berlin
ZTB – Zeitgenössischer Tanz Berlin e.V.
ZMB – Zeitgenössisches Musiktheater Berlin e.V.
Rat für die Künste

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