Kritik an der Ausschreibung zum neu aufgelegten „Förderprogramm digitale Entwicklung im Kulturbereich“
In der Koalitionsvereinbarung von r2g heißt es: „Zur Erprobung innovativer Formate mit digitalen Technologien wird die Koalition einen Innovationsfonds für Projekte der Einrichtungen und der Freien Szene etablieren.“
In einem zweijährigen Konzeptverfahren hat die Technologiestiftung mit Mitteln von SenKultEu an der „Förderrichtlinie digitale Entwicklung im Kulturbereich“ gearbeitet. Die mangelnde Transparenz und Partizipation dieses Verfahrens haben wir bereits kritisiert. Nun liegt die Ausschreibung vor und geht leider auch komplett an der Zielgruppe vorbei.
Hier eine kritische Analyse der Ausschreibung in Zusammenarbeit mit der Informatikerin und Künstlerin Peggy Sylopp (pexlab.space/index.php/de/ ):
- „Förderempfängerinnen und Förderempfänger können Kultureinrichtungen, Vertreterinnen und Vertreter der Freien Szene und Zusammenschlüsse einzelner Personen mit (Wohn-) Sitz und Tätigkeitsschwerpunkt in Berlin sein.“
KRITIK: Die große Mehrheit der in der Ausschreibung genannten Zielgruppe verfügt nur über minimale digitale Kompetenzen und hat zu wenig Überblick über aktuelle digitale Möglichkeiten. Daher kann sie nicht im Alleingang digitale Entwicklungen konzipieren. Um sich bewerben zu können, wären digitale Beraterinnen im Vorfeld und digitale Entwicklerinnen in der Umsetzung nötig. Diese Notwendigkeit ist in der Ausschreibung nicht gespiegelt.
- „Mit den Fördermitteln soll diese Zielgruppe die Möglichkeit erhalten, ihr Digitalbewusstsein und ihre Digitalaffinität zu vertiefen, d.h. die Bereitschaft und die Fähigkeit, sich auf die Möglichkeiten, Chancen, Anforderungen und Zwänge des digitalen Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft einzulassen, Potentiale digitaler Technologien für ihre eigene Arbeit zu erschließen, Kompetenzen auszubauen und diese zu vermitteln.“
KRITIK: Die Möglichkeiten sind sehr weit gefasst, sprich völlig unrealistisch und bestenfalls in einem jahrelangen, von Expert*innen begleiteten Prozess zu erreichen, keinesfalls im Rahmen eines abgegrenzten digitalen Projekts. Aus unserer Sicht wäre der Szene in einem ersten Schritt mehr mit einer breit angelegten digitalen Basisbildung geholfen. Hier wird versucht, diesen Schritt zu überspringen bzw. hätte er als Aufgabenbereich der Technologiestiftung-berlin schon in den vergangenen Jahren entsprechend vorbereitet werden oder aber eine verbindliche Zusammenarbeit mit Expert*innen gefordert werden müssen.
- „einzelne abgegrenzte digitale Vorhaben mit hohem Beispielwert“
KRITIK: Um einen „Beispielwert“ zu erreichen, müssen Projektinhalte sehr gut dokumentiert und kommuniziert werden. Hier wird noch zusätzlicher Druck aufgebaut. Wie schon in der kulturellen Bildung, entsteht der Druck, ein nach außen gut klingendes Projekt ohne Nachhaltigkeit durchzuführen.
- „Im Mittelpunkt stehen die Selbstbefähigung der Förderempfängerinnen und -empfänger, der praktische Erkenntnisgewinn sowie dessen Kommunikation und Diskussion“
KRITIK: Das sollte ausschließlicher Gegenstand der Förderung sein.
- „Gefördert werden Prozesse und Lösungsansätze sowie neue Werkzeuge – auch in prototypischer Form – zur digitalen Auffindbarkeit und Steigerung der Teilhabe am Kulturangebot“
KRITIK: Hier wird offensichtlich ein Schwerpunkt auf digitale Software-Entwicklungen gelegt, die nicht nur Digitalität in die Kultureinrichtungen bringen, sondern auch das Publikum einbeziehen sollen (Teilhabe). Somit wird Komplexität noch weiter erhöht, da diese Zielgruppe erst einmal befragt werden müsste, um für sie entwickeln zu können.
- „Umzusetzende Ergebnisse sind demnach unter A) Open Source Lizenzen oder, wo es keine Software ist, unter B) Creative Commons oder GNU General Public Lizenzen zu stellen. Projektförderungen, die 100 % der förderfähigen Ausgaben umfassen, müssen unter Lizenzbedingungen gestellt werden, die den Kriterien der Open Knowledge Foundation Version 2 entsprechen.“
KRITIK: Es werden rechtliche Kenntnisse zu Lizenzen vorausgesetzt, die sogar nur einem Teil der digitalen Community bekannt sind. Es fehlt ein Lizenz-Beratungsangebot.
- „Aufgrund haushaltsrechtlicher Bestimmungen können nur solche Projekte gefördert werden, die noch nicht begonnen haben. Ein Anspruch auf Förderung besteht nicht.“
KRITIK: Den enormen Ansprüchen kann ein abgegrenztes digitales Vorhaben ohne Vorlauf nicht gerecht werden. Nachhaltige digitale Projekte entstehen in langer Zusammenarbeit. Es sollten insbesondere bereits bestehende, meist über viel Ehrenamt realisierte Projekte, gefördert werden, da diese Erfolg versprechend sind und der Bedarf bereits nachgewiesen wurde.
Beispielhaft sei hier die www.digital-stage.org zu nennen, die durch ein engagiertes ehrenamtlich arbeitendes Team seit Beginn des Arbeits- und Aufführungsverbotes der Kultur als Lösungsansatz für Proben und auch einen Produktionsprozess ohne reale Begegnung entwickelt wird. Eine Antragstellung in dieser Ausschreibung aber ist ausgeschlossen.
- „Über die Bewerbungen entscheidet die Senatsverwaltung für Kultur und Europa nach pflichtgemäßem Ermessen.“
KRITIK: Fehlende Transparenz.
„AUSFÜHRLICHE PROJEKTBESCHREIBUNG“
- „Wie wird die Benutzerinnen- / Benutzerfreundlichkeit gewährleistet?“
KRITIK: Zur Beantwortung dieser Frage sind Software-Entwickler*innen-Kenntnisse notwendig, die überhaupt nicht zur Zielgruppe passen.
- „Welche Maßnahmen zur Wartung, Aktualisierung und Nachhaltigkeit sehen Sie vor, auch im Anschluss an die geförderte Projektlaufzeit?“
KRITIK: Hier wird Druck aufgebaut, das Projekt ohne Finanzierung weiter zu führen.
- „Wie wollen Sie die Öffentlichkeit erreichen? / Welche Art der Öffentlichkeit wollen Sie erreichen? Wie werden Sie den Projektverlauf und die Projektergebnisse kommunizieren?“
KRITIK: Bereits die Entwicklung einer Software, die die oben genannten Kriterien erfüllt, ist realistischerweise nicht erfüllbar. Darüber hinaus werden hier auch noch Netzwerke mit (digitalen) Medien gefordert.
- „Muster-Finanzierungsplan“
KRITIK: Völlig unpassend. Der Finanzierungsplan ist auf eine Kunst-Ausstellung oder eine Theaterproduktion zugeschnitten und passt überhaupt nicht zu einer Softwareentwicklung.
TEILHABE SIEHT ANDERS AUS
Zielgerichtete, passende und nachhaltige Unterstützungsstrukturen können nur mit Einbindung der Betroffenen sinnvoll entwickelt werden. Es ist unumgänglich, die Expert*innen der Freien Szene – und auch des Digitalen Bereichs – in die Maßnahmenfindung einzubinden. Die Lebens- und Arbeitsrealitäten der Akteur*innen dürfen nicht weiterhin ignoriert werden, sie dürfen mit der Lösungssuche und Unterstützung für eine Wiederaufnahme der Kulturproduktion nicht alleine gelassen werden. Das Expert*innenwissen der Kunst- und Kulturschaffenden muss endlich in Entscheidungen zur Sicherung und Wiederbelebung der Freien Kulturszene einbezogen werden.
In einer Zeit, in der neue Förderprogramme eine Wiederbelebung und Sicherung der Berliner Kunst- und Kulturszene bedeuten könnten, ist ihre Ausgestaltung von besonderer Bedeutung. Alle Akteur*innen der Freien Kulturproduktion brauchen Zugang zum „Förderprogramm digitale Entwicklung im Kulturbereich“. Künstler*innen in Musik, Tanz, Literatur, darstellenden und bildenden Künsten sowie die Veranstaltungs-techniker*innen, Masken- und Bühnenbildner*innen, Projektraumbetreiber*innen, Literaturübersetzer*innen, Publizist*innen und viele mehr benötigen eine Zukunftsperspektive, auch im digitalen Raum.
Unser Dank gilt Peggy Sylopp, die uns mit Ihren Einschätzungen beraten hat!
Der Sprecher*innen-Kreis der Koalition der Freien Szene